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„Das Altersbild der Zukunft muss neu gedacht werden!“

Hand aufs Herz: Wie lange können Sie auf einem Bein bei geschlossenen Augen balancieren? Professor Dr. Ansgar Thiel (Universität Tübingen) hielt es bei seinem Online-Vortrag zum „Tag der Generationen“ des Sportbundes Rheinland nicht mehr auf dem Stuhl und forderte seine rund 80 Zuhörer auf, es ihm gleichzutun und den Balance-Akt in den eigenen vier Wänden zu vollziehen.
Foto: LSB RLP / iStock / nd3000

Diese Erfahrung dürfte für viele ebenso kurz wie ernüchternd gewesen sein. Denn die Fähigkeit zu Balancieren nimmt im Alter zwischen 20 und 70 Jahren um circa 80 Prozent ab, gefolgt von der Beinkraft (60 Prozent), Rumpfbeugen (50 Prozent) und der Handdruckkraft (25 Prozent). Diese Zahlen haben „Sprengkraft“ angesichts einer immer älter werdenden Gesellschaft. Wie kann es gelingen, dieser Immobilitätsspirale etwas entgegenzusetzen und damit unsere Sozialsysteme vor dem Kollaps zu bewahren? Denn davon ist Thiel, einer der renommiertesten Altersforscher, überzeugt: „Das gleichzeitig leistungsfähigste und kostengünstigste Mittel, den Menschen lange gesund und leistungsfähig zu erhalten, ist die regelmäßige körperliche Aktivität!“

Thiel präsentierte den Teilnehmenden am „Tag der Generationen“ Studien zur Mobilität der Älteren, die erschrecken. Er zeigte aber auch auf, was nur eine regelmäßige geringe Aktivität im Alltag bewirken kann. Sie reduziert das allgemeine Sterberisiko, reduziert das Risiko für eine Reihe von Krebs- und Herzerkrankungen sowie für Typ2 Diabetes, sie senkt den Blutdruck, verbessert die allgemeine Fitness, erhöht die Muskelkraft und verbessert den Fettstoffwechsel. „Regelmäßig leichte Bewegung bringt schon was für die Gesundheit, regelmäßig relativ anstrengende Bewegung bringt sogar noch mehr“, so die Botschaft von Thiel.

Schließlich gab der Sportwissenschaftler Thiel konkrete Trainingsempfehlungen zur Verbesserung der motorischen Grundfertigkeiten im Alter sowie Tipps für einen aktivitätsbezogenen Alltag. Geht es doch um nichts Geringeres, als gesund zu Altern. Dazu Thiel: „Gesundes Altern bedeutet eine aktive Rolle in der Gesellschaft spielen zu können, diskriminierungsfrei altern zu können sowie unabhängig zu sein und eine hohe Lebensqualität zu haben.“

Doch all diese Erkenntnisse scheint in der Gesellschaft noch nicht überall angekommen zu sein. Nach Angaben von Thiel sind 75 Prozent aller Männer und 85 Prozent aller Frauen weniger als 2,5 Stunden in der Woche körperlich aktiv. In der Altersspanne 30 bis 60 Jahre nehme die Bereitschaft, aktiv zu sein, rapide ab. „Das Ziel, gesund und fit bis ins hohe Alter zu sein, ist vornehmlich ein Ideal für Menschen über 50 Jahre“, so die Erkenntnis von Thiel.

Abschließend warb der Referent für eine differenzierte Sichtweise auf den Sport für Ältere. „Heute sind viele 70-Jährige fitter als so manche 30-Jährige“, sagte Thiel und plädierte für spezielle Angebote, die unter anderem die aktuelle Leistungsfähigkeit, die Sport- und Trainingserfahrungen, sowie die individuelle Neigung und Belastbarkeit berücksichtigen. In diesem Zusammenhang erteilte Thiel den „50+-Angeboten“ so mancher Vereine eine Absage: „Darunter wird in der Regel unspezifischer Seniorensport für eher Unfitte mit viel Gymnastik und geringer Intensität verstanden.“

Die Sportvereine, als größte Personenvereinigung im Land, müssten sich ihrer Verantwortung für die Gesunderhaltung der älteren Generation bewusst sein und bei den Kommunen fordern, die entsprechenden Voraussetzungen dafür zu schaffen. „Das Altersbild der Zukunft muss neu gedacht werden!“, fordert Thiel.

Wegen der Corona-Pandemie mussten die Präsenz-Seminare beim „Tag der Generationen“ abgesagt werden. Die Teilnehmenden erhielten die Möglichkeit, neben dem Eröffnungsvortrag auch an drei Web-Seminaren teilzunehmen. Diese hatten zum Thema: „Rückenschule im Homeoffice“, „Beckenbodentraining und Sport nach der Schwangerschaft“ sowie „Entspannung in den Alltag integrieren“.

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