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Schulter & Wirbelsäule: Dynamische Synergie

Das Schultergelenk spielt unbestritten eine sehr wichtige Rolle im Schulterkomplex. Es zeichnet sich nicht nur durch den größten Bewegungsumfang im menschlichen Körper aus, sondern auch durch die höchste Bewegungsgeschwindigkeit.
Foto: Thorsten Becker Agelidis

Beim Handball können beispielsweise Winkelgeschwindigkeiten von bis zu 5500°/Sek erreicht werden, während sie im Baseball sogar bis zu 9000°/Sek erreichen können. Die Muskeln des Schultergürtels werden bei diesen explosiven Bewegungen stark beansprucht und Schulterverletzungen sind bei Überkopfsportarten und bei Sportlern in Wurf- und Schlag-Disziplinen weitverbreitet.

Im Baseball machen sie z.B. 12 bis 19% aller Verletzungen aus, während sie im Schwimmsport sogar auf 23 bis 38% geschätzt werden. In einer umfangreichen Studie mit Profihandballern wiesen 44 % bis 75 % bereits vergangene Schulterverletzungen auf, während 20 % bis 52 % über akute Schulterschmerzen berichteten.

Die Schulter fungiert in diesem Kontext als Teil einer kinetischen Kette (KK). Bei vielen Sportarten überträgt sich die Energie von den unteren Extremitäten bis zur Hand, um beispielsweise einen Ball zu schlagen oder zu werfen.

Untersuchungen zeigen, dass beim Tennis-Aufschlag ca. 54% der Kraft aus den Beinen und dem Rumpf generiert werden und die Schulter einen deutlich kleineren Teil der Kraft beisteuert (siehe Tabelle 1).

Reduziert sich die Kraftübertragung von den Beinen auf die oberen Extremitäten um 25%, muss die Schulterkraft um ca. 35% gesteigert werden, um einen Ball mit derselben Kraft und Geschwindigkeit zu werfen. Dies verdeutlicht, dass neben der Schulter auch die anderen Bestandteile der KK für die sportliche Leistung und Gesundheit von Bedeutung sein können.

Die Wirbelsäule (WS) ist ebenfalls eine wichtige Komponente der KK, die nicht nur als Verbindungsglied und Kraftüberträger zwischen den unteren und oberen Extremitäten fungiert, sondern auch als Kraftgenerator, der den Arm bei Schlag- oder Wurfbewegungen effektiv beschleunigt.

Besonders die Brustwirbelsäule (BWS) wird von einigen Experten, als entscheidend für die sportliche Leistung in diesem Kontext angesehen, da Sie nicht nur Kraft generiert, sondern auch ca. 80% des rotatorischen Bewegungsausmaß der gesamten WS zur Verfügung stellt.

Tennis erfordert z.B. eine große thorakale Rotation und es wird empfohlen, das Bewegungsausmaß zur Verletzungsprävention und Leistungsoptimierung bei Spielern zu quantifizieren.

Exemplarische Untersuchungen zeigen eine eingeschränkte Beweglichkeit der BWS bei Schulterpathologien und eine höhere Prävalenz von Ellenbogen- und Schulterverletzungen bei Rotationseinschränkung der BWS.

Es ist wichtig festzuhalten, dass die BWS-Beweglichkeit in diesem Zusammenhang ein beitragender Faktor sein kann, aber nicht muss. Die Rolle der BWS-Beweglichkeit und Statik ist diesbezüglich nicht undiskutabel. So zeigen beispielsweise Barrett et al. (2016), dass eine größere thorakale Kyphose keinen entscheidenden Beitrag zur Entstehung von Schulterpathologien leistet.

Aktuell gibt es zudem keine Studien, die die Wirksamkeit von Übungen für die Brustwirbelsäule bei der Prävention oder Rehabilitation von Sportverletzungen untersuchen, trotzdem werden Mobilisationsübungen, insbesondere für Extension und Rotation empfohlen und in Präventionsprogrammen durchgeführt.

Für ein Verletzungspräventionsprogramm der Schulter empfehlen Forscher, neben der Mobilisierung der BWS, Kraftübungen für die Rotatoren, Ausdauer- und plyometrische Übungen, Dehnen der hinteren Schulter sowie Rumpfstabilisationstraining.

Ein präventives Übungsprogramm für Handballer wurde vom Oslo Trauma Research Center entwickelt. Neben anderen Risikofaktoren für Schulterverletzungen werden in diesem progressiv gestalteten Aufwärmprogramm auch Mobilisationsübungen für die BWS durchgeführt. Mit diesem Programm sank das Risiko, im Laufe einer Saison Schulterprobleme zu bekommen, um 28 %.

Fazit
Die Beweglichkeit der BWS kann ein sinnhafter Trainingsinhalt sein, besonders bei bestehenden Einschränkungen. Darauf aufbauend sollte ebenfalls die Kraftentwicklung- und Weiterleitung über die kinetische Kette trainiert werden. Zudem sollten zusätzliche Risikofaktoren berücksichtigen werden.

Autor 
Thorsten Becker Agelidis ist Physiotherapeut und Biomechaniker. Er studierte an der Hochschule für Gesundheit in Bochum (B. Sc. Physiotherapie) sowie der Justus-Liebig-Universität in Gießen (M. Sc. Biomechanik-Motorik-Bewegungsanalyse). Neben seiner praktischen Arbeit mit Schwerpunkt Orthopädie und Sportrehabilitation, ist er seit 2016 als Dozent im Sport- und Gesundheitswesen tätig, unter anderem für den Sportbund Rheinland, das Katholische Klinikum Koblenz-Montabaur und die Rhein-Mosel-Fachklinik.

Seit 2020 ist er Leiter der Schule für Physiotherapie am Bildungs- und Forschungsinstitut Mittelrhein in Trägerschaft der Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein gGmbH.

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