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"Sport muss mehr fordern, um besser fördern zu können"

Der Sport ist konfliktbereit - aber das Vertrauen in die Politik ist noch nicht völlig zerstört: Dieses Fazit zog der Ökonom und Soziologe Prof. Dr. Eike Emrich von der Universität des Saarlandes nach dem ersten öffentlichen Wahlhearing, bei dem der Landessportbund Rheinland-Pfalz (LSB) unter dem Motto "Auf wen kann der Sport bauen?" 49 Tage vor der Landtagswahl fast 150 Vereinsvertreter, sportinteressierte Bürger und Politiker in der Mensa des Otto-Schott-Gymnasiums in Mainz-Gonsenheim zusammengebracht hatte.
"Ich betrachte diese Veranstaltung als Weckruf", resümierte Emrich, der die ebenso lebendige wie gehaltvolle und kontroverse Diskussion gemeinsam mit Dr. Jörg-Uwe Nieland von der Deutschen Sporthochschule Köln wissenschaftlich begleitete. "Auch wenn wir im Vorfeld ein bisschen unsicher waren, war der Weg völlig richtig, diese Veranstaltung ins Leben zu rufen." Nielands These: "Wir laufen Gefahr, dass der Sport ohne Vereine stattfindet - nur noch in Schulen und Fitnessstudios. Vielleicht sollten sich Schul- und Sportpolitik mehr zusammensetzen und einen Maßnahmenkatalog erstellen, der aus unterschiedlichen Feldern die jeweiligen Verantwortlichen zusammenführt." Der Ratschlag des Forschers: "Der Sport muss mehr fordern, um besser fördern zu können. Mein Vorschlag wäre diese Diskussion nach der Wahl mit den gleichen Personen fortzusetzen, um Verbindlichkeit in den Sport hineinzubekommen." Die Vereinsfunktionäre packten die einmalige Gelegenheit beim Schopf, den Parteien kurz vor dem Urnengang das eine oder andere Versprechen abzuringen - das sich demnächst überprüfen lassen wird. Als Vertreter der Parteien auf dem Podium standen Michael Hüttner (SPD), Guido Ernst (CDU), Nils Wiechmann (Bündnis 90/Die Grünen), Goswin Förster (FDP) und Julian Theiß (Die Linke), die nicht nur vom Moderator, dem SWR-Sportexperten Holger Kühner, mit kritischen Fragen konfrontiert wurden. Sven Kreienbrock vom 1.400-Mitglieder-Verein SV Urmitz etwa sprach den Leuten von der Basis aus dem Herzen, als er forderte, auch in Zeiten enger Haushalte und der immer wieder beschriebenen Schuldenbremse müsse der Sportförderung eine hohe Priorität eingeräumt werden. "Auch wenn der Haushalt für den Sport geradeaus gefahren wird, muss man faktisch von einer jährlichen Kürzung der finanziellen Mittel in Millionenhöhe sprechen", sagte Kreienbrock, der "unzumutbare finanzielle Mehrbelastungen" anprangerte. Immer mehr müsse neben dem eigentlichen Zweck - nämlich dem Sportbetrieb - organisiert und vor allem finanziert werden. "Die finanzielle Förderung von Sportvereinen und -verbänden darf nicht lediglich als Belastung für den Haushalt gesehen werden, sondern als Investition in die Zukunft." Nicht "Sparen am Sport", sondern "Sparen mit dem Sport" müsse die künftige Devise "als Antwort auf die gesellschaftlichen Herausforderungen" lauten. Kreienbrock wörtlich: "Wir Vereine sind keine Bittsteller, sondern müssen von den Parteien endlich als gleichwertige Partner anerkannt werden." Von der Politik werde gerne mal übersehen, dass auch Ehrenamt Geld koste - und der Sport werde von Politikern gerne für deren Außendarstellung missbraucht. Viel Applaus erntete auch Hans Pracht vom Rheinhessischen Kanuverband für seine Ausführungen, die in der Forderung gipfelten: "Es wäre dringend erforderlich, eine Umschichtung vorzunehmen und den Sport so auszustatten, wie es ihm zusteht." Laut Martin Reuschenbach, Vorsitzender des SSV Heimbach-Weis, ist Geld für viele Dinge vorhanden. "Es ist für mich nur eine Frage der Prioritäten, die die Politik setzt. Man findet immer wieder Erklärungen, warum etwas nicht geht." Die Vereinsvertreter seien aktiv, ergriffen die Initiative, gingen auf die Kommune zu, "aber man trifft immer wieder auf so verstaubte Dinge wie das Sportfördergesetz". Reuschenbach ging auf Konfrontation zu Sozialdemokrat Hüttner, als er betonte, er könne "nicht bestätigen, dass das Ehrenamt gut dasteht". Fakt sei, dass das Ehrenamt in einer Krise stecke. Und in Richtung Hüttner und Wiechmann gerichtet: "Bitte verschonen Sie mich mit der Ehrenamtskarte, damit können Sie wirklich engagierte Menschen nicht locken." Auch für diese Worte erntete er jede Menge Beifall. Mit Bernd Lupberger, Vorsitzender der TSG Maxdorf, und vielen anderen im Plenum war sich Reuschenbach einig: "Wir brauchen mehr Mittel der Erleichterung im administrativen Bereich, mehr Mittel für den Bau und die Renovierung von Sportstätten." Konform gingen die Vereine nicht zuletzt in ihrer Forderung, dass die einzelnen Verbände mehr Mittel für Stützpunkttrainings zur Verfügung gestellt bekommen sollen, um so herausragende Talente gezielter fördern zu können. Wiechmann betonte, die Grünen würden sich stark machen für einen Sportfördervertrag "mit klaren Kriterien wie Zielgenauigkeit, Planungssicherheit, Transparenz und Bedarfsgerechtigkeit - es sind ja öffentliche Gelder - der Planungssicherheit für das Land und die Sportorganisationen mit sich bringen würde". Als der Grüne forderte, der Sport müsse an schlankeren Strukturen arbeiten, rumorte es kräftig im Auditorium, es gab zornige Blicke und wütende Gesten. Der Liberale Förster betonte, "die finanzielle Ausstattung des Sports" müsse "wieder etwas verbessert werden - aber Sie werden von mir keine Zahlen hören". Versprechungen könne er keine machen, so der Pfälzer, wobei "bei der prozentualen Beteiligung an den Abgaben der privaten Wettanbieter einiges für den Sport herauszuholen" sei. Hüttner versprach, er sichere dem Sport zu, "dass wir an das Thema mit den privaten Sportwetten rangehen". Zudem wolle er in der nächsten Legislaturperiode gezielt und projektorientiert den Sport im Land fördern. Christdemokrat Guido Ernst - selbst Vorsitzender eines 600 Mitglieder-Vereins - erklärte, der Sport sei "das Stiefkind der Landesregierung - davon sind wir felsenfest überzeugt". Der Sportexperte wörtlich: "Wir wollen, dass der organisierte Sport 200.000 Euro mehr bekommt." Zusätzlich will Ernst das Sonderprogramm für vereinseigene Sportanlagen von derzeit 2 auf 3,1 Millionen Euro aufstocken. Wir brauchen einen Sportstättenleitplan, das Institut für Sportstättenentwicklung in Trier ist der erste Schritt." Und der erst 19 Jahre alte Julian Theiß (Die Linke) kündigte an: "Ich habe hier sehr viel mitgenommen von den Vereinen und den Verbänden - wir werden der Regierung keine Ruhe lassen." (Quelle: LSB RLP)
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